Nachruf
Dr. Maria Müller-Sommer
(* 4. Mai 1922 in Berlin; geb. Janicki; † 27. August 2023 in Berlin)
Am 25. November 1950 versammelten sich 17 Personen, darunter auch Maria Sommer, bei Kurt Raeck, dem Direktor des Berliner Renaissance-Theaters, zu einer „Arbeitsbesprechung der Berliner Mitglieder“ der Gesellschaft für Theatergeschichte. Wie so vieles in Berlin, hatte auch die 1902 gegründete Gesellschaft mit dem Ende des Krieges und der Nazi-Herrschaft ihre Tätigkeit eingestellt und sollte jetzt, fünf Jahre nach Kriegsende, wiederbelebt werden. Als treibende Kräfte ließen sich vielleicht die vier Männer ausmachen, die bei der Wiedergründung am 3. Februar 1951 zum Vorstand der Gesellschaft gewählt wurden: zum Vorsitzenden Dr. Kurt Raeck, Direktor des Berliner Renaissance-Theaters, zum Schriftführer Dr. Herbert A. Frenzel, Publizist, zum Schatzmeister Fabrikdirektor Walter Unruh und zum Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Ausschusses Prof. Dr. Hans Knudsen. Kurt Raeck schildert im Heft 28 der Kleinen Schriftenreihe diesen Neustart sehr anschaulich.
Gehörte die am 25.11.1950 28jährige Dr. Maria Sommer, die gerade in diesem Jahr 1950 die Anteile an dem renommierten Kiepenheuer Bühnenverlag erworben hatte, schon damals zu den „Alt-Mitgliedern“ der Gesellschaft vor 1945? Denkbar ist es, aber nicht mehr nachweisbar, weil die Mitgliederkartei vermutlich in den starken Bombenangriffen auf Kreuzberg am 3. Februar 1945 mit dem Bücherbestand des Elsner Verlages verbrannte. Denkbar ist es, weil Maria Sommer noch am 20. April 1945, am Geburtstag Adolf Hitlers, von der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität promoviert wurde – mit dem schönen Thema „Zur Geschichte der Berliner Theaterzensur“, und zwar von jenem Hans Knudsen, der nur ein Jahr zuvor auf Geheiß Hitlers und gegen den Widerstand der Universität zum Professor ernannt wurde. Knudsen war seit 1923 Schriftführer der Gesellschaft und hat so vielleicht auch Maria Sommer zum Eintritt in die Gesellschaft bewogen.
Maria Sommer war damit das älteste Mitglied unserer Gesellschaft und verfolgte die Tätigkeit der Gesellschaft mit großer Sympathie. Zwei Mal ist sie auch nachweislich in Veranstaltungen der Gesellschaft aufgetreten: Am 3.12.1953 in einer Art Colloquium zu dem Thema Das Recht des Bühnenautors aus den verschiedenen Blickwinkeln des Historischen, Juristischen und Praktischen behandelt zusammen mit Hans Knudsen, Kurt Raeck, Adolf Kraetzer und Friedrich Karl Fromm im Deutschen Bühnen-Klub und in einem unserer Gesellschaftsabende im Haus des Kulturvolks am 28.9.2018 mit einem frei gehaltenen Vortrag Zur Arbeit eines Bühnenverlages. Von diesem Vortrag gibt es noch eine Aufzeichnung.
Kurz nach dem Weltkrieg war Maria Sommer zuerst als Lektorin in den Kiepenheuer Bühnenverlag eingetreten, den sie dann 1950 erwarb. Wie sie gerne erzählte, hat sie deswegen die goldene Uhr ihres Vaters verkauft. Damit war sie seinerzeit wohl eine der ganz wenigen Verlegerinnen in Deutschland. Aber nicht das war ihre historische Leitung, sondern ihr nie nachlassendes Engagement für Autor:innen, ihr Gespür für das, was im Theater auschlaggebend war und ist: der Zeitgeist, das, was an Stoffen, aber auch an literarischen Stimmen in der jeweiligen Gegenwart notwendig auf die Bühne kommen muss. So förderte sie den jungen Dramatiker Günther Grass, woraus eine Lebensfreundschaft entstand. Sie brachte englische, amerikanische und damals vor allem französische Autor:innen auf die deutschen Bühnen, aber z.B. auch polnische. Sie war eine geniale Netzwerkerin, die langjährige Kontakte zu Autor:innen, Übersetzer:innen, Dramaturg:innen und Theaterleitern (mir sind in den 1950er und 1960er Jahren außer Ida Ehre keine Theaterleiterinnen bekannt) knüpfte und hielt. Am spektakulärsten ist ihre Entdeckung von George Tabori für das deutsche Theater. Sein Stück Die Kannibalen, eine groteske Farce, die in Auschwitz spielt, machte am 13.12.1969 in der Werkstatt des Schiller Theaters Skandal. Maria Sommer blieb ein Leben lang eng mit dem Autor verbunden und besorgte eine Werkausgabe seiner Theaterstücke.
Aber Maria Sommer war nicht nur die ambitionierte Talentefinderin, sondern engagierte sich für ihre Autor:innen auch darüber hinaus, z.B. für eine gerechte Entlohnung ihrer Arbeit. 1958 gründete sie die Verwertungsgesellschaft Wort, deren Ehrenvorsitzende sie zuletzt war und sie war lange Jahre Vorsitzende des Verlegerverbandes. Dennoch: Kern und Angelpunkt ihrer Tätigkeit war und blieb ihr Verlag, den sie zusammen mit ihrem Nachfolger Bernd Schmidt bis zuletzt führte. Noch in dem letzten Telefongespräch mit ihr klagte sie über die Folgen der Pandemie für die Bühnenverlage und erzählte nicht ohne Stolz, dass es der Erfolg der Bühnenwerke ihres Autors Ferdinand von Schirach seien, die den Verlag in dieser existenziellen Krise gerettet hätten.
Maria Sommer ist 101 Jahre alt geworden und blieb bis zuletzt geistig und körperlich erstaunlich frisch. Ihre Anrufe, wenn sie sich dafür entschuldigte, dass sie nicht zur angekündigten Mitgliederversammlung der Gesellschaft kommen könne, und der kurze Austausch, der daraufhin folgte, werden fehlen. Ihre Person wird fehlen und wir dürfen dankbar dafür sein, dass wir sie solange in unseren Reihen wussten, mit ihrer stetigen Anteilnahme, ihrem wachen Interesse und ihrer großen Sympathie für die Belange der Gesellschaft! Herzlichen Dank, Frau Sommer!
Stephan Dörschel
47. Gesellschaftsabend am 22. September 2023, 19 Uhr: Stephan Dörschel
Bühnenwelten im Archiv
Vortrag von Stephan Dörschel
Warum sammelt ein Archiv Bühnenmodelle? Welche Rolle spielt das Modell für eine Inszenierung, und wie wird es im Sammlungszusammenhang eines Archivs aufbewahrt? Welche Funktion haben diese „Puppenstuben“ im Prozess der Entstehung eines Theaterstücks, welche Möglichkeiten eröffnen sie, erfahrbar zu machen, was später auf der großen Bühne passiert?
Der Leiter des Archivs Darstellende Kunst an der Akademie der Künste Berlin, Stephan Dörschel, gibt Auskunft über das Bühnenbildmodell als integraler Bestandteil der Entstehung eines Theaterstücks.
Beginn 19 Uhr; der Eintritt ist frei - Gäste sind herzlich willkommen!
Die Einladung finden Sie hier.
Ort: Kulturvolk | Freie Volksbühne Berlin e.V.
Ruhrstr. 6
10709 Berlin
(U Fehrbelliner Platz/Konstanzer Straße)
www.kulturvolk.de
Ausblick: Termine 2023/24
Die Gesellschaftsabende 2023/24 sind an folgenden Terminen geplant:
Freitag, 22. Sept. 2023 - Stephan Dörschel: Bühnenwelten im Archiv
Freitag, 10. Nov. 2023
Freitag, 26. Jan. 2024
Freitag, 15. März 2024
Änderungen vorbehalten - weitere Informationen folgen.
Die Mitgliederversammlung 2023 ist für Samstag 11. November 2023 geplant - hierzu werden die Mitglieder gesondert eingeladen.
Rückblick: Gesellschaftsabende der Gesellschaft für Theatergeschichte 2022/23
Nach coronabedingter Pause konnten wir im Winter 2022/23 wieder vier Gesellschaftsabende im Veranstaltungsraum von Kulturvolk | Freie Volksbühne Berlin durchführen und haben uns über die positive Resonanz sehr gefreut:
23. September 2022 - Prof. Dr.-Ing. Jos Tomlow: Das Grenzlandtheater in Zittau 1934-1936
18. November 2022 - Prof. Dr. Matthias Warstat: Das Ende des Theaters der Weimarer Republik. Konkurrierende Deutungen
27. Januar 2023 - Prof. Dr. Marek Podlasiak: Bruno Th. Satori-Neumann als Chronist der Elbinger Theatergeschichte
10. März 2023 - Carsten Jung: Neues vom alten Ekhof
Über die Gesellschaftsabende im kommenden Winter informieren wir Sie rechtzeitig hier auf der Website und im Newsletter.
Bibliographische Mitteilungen aus der Theatersammlung Rainer Theobald
Aktualisierte Listen

Im Mai 2023 wurden die Bibliographischen Mitteilungen aus der Theatersammlung Rainer Theobald zu August Wilhelm Iffland aktualisiert und um neue Einträge ergänzt.
Im Juni 2022 wurden aktualisiert und ergänzt:
2 A, B, C - Theaterbau, Bühnentechnik und Bühnenbild der Neuzeit
6 - Vor 1800 im deutschen Sprachraum (außer im Habsburger Kaiserreich) gedruckte Opern-, Singspiel- und Ballett-Libretti
8 A, B - Gesamtverzeichnis der vor 1800 gedruckten Libretti von Opern, Singspielen und Balletten
Die Bibliographischen Mitteilungen laden ein, in dieser überaus umfangreichen privaten Theatersammlung zu recherchieren und gegebenenfalls mit Dr. Rainer Theobald in Kontakt zu treten. Weitere Listen sind in Vorbereitung.
Sie gelangen zu den Bibliographischen Mitteilungen über den Menüpunkt „Publikationen/sonstige Ressourcen und Quellen“ bzw. diesen Link.
Paul S. Ulrich: Topographie und Repertoire des Theaters, Bd. 1-3
Buchpräsentation am 30. November 2022 in Berlin


Am 30. November stellte das Wiener, privat geführte Don Juan Archiv im Vorlesungssaal des Instituts für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin die ersten drei Bände der im Hollitzer Verlag neu etablierten Reihe "Topographie und Repertoire des Theaters" einem interessierten Fachpublikum vor. Paul S. Ulrich, der Vorsitzende der Gesellschaft für Theatergeschichte, veröffentlichte hier auf insgesamt über 1500 Seiten einen Ausschnitt seiner jahrzehntelangen Recherche und Auswertung von Theater-Journalen des ausgehenden 18. bis zum beginnenden 20. Jahrhunderts.
Prof. Dr. Matthias Warstat begrüßte die Anwesenden nicht nur als Hausherr, sondern vermittelte auch in kurzen Worten die Bedeutung dieser Arbeit für die theaterwissenschaftliche Forschung und Lehre. Der erste Schriftführer der Gesellschaft, Stephan Dörschel, machte in seinem kurzen Grußwort deutlich, wie Paul S. Ulrich einerseits auf eine sehr große Anzahl von Personen angewiesen war, die ihm bei seinen Recherchen unterstützten, dass es aber Ulrich allein gewesen sei, der diese Sammlung zusammengetragen, strukturiert und analysiert habe.
Als Laudator hatte sich Ulrich den Theaterhistoriker und wohl Berlins profundesten Kenner der Materie, Dr. Rainer Theobald gewünscht und dessen Ausführungen erbrachten nicht nur einen knappen, konzisen Aufriss der vorliegenden drei Bände, die mit der Bibliografie der bisher aufgefundenen Theater-Journale den wissenschaftlichen Zugang zu ihnen ebnen, sondern mit der Auflistung sämtlicher Herausgeber*innen - überwiegend handelt es sich hierbei um Souffleusen und Souffleure oder Zettelträger*innen, also Theaterpersonal, das sonst überhaupt nicht Erwähnung findet - auch hier wieder eine ganz neue Perspektive in die Betrachtung des Theaterapparats einbringt. Der dritte Band, so Theobald, enthält wohl das Wichtigste: das Repertoire der damaligen Bühnen mit einer Unzahl von heute unbekannten Stücken und Stückbearbeitungen.
Schließlich stellte Dr. Matthias J. Pernerstorfer, Direktor des Don Juan Archivs und Mitherausgeber der Reihe, das ganze Editionsprojekt vor und gab einen faszinierenden Ausblick auf eine frei recherchierbare online-Version der digitalisierten Theater-Journale. Zum Abschluss ergriff Paul S. Ulrich das Wort, dankte den an dem Projekt Beteiligten - anwesend waren auch noch Andrea Gruber von der Bibliothek des Don Juan Archivs und Marcus Ebner, der das Projekt als IT-Experte betreut - und gab bekannt, dass er auch noch am Tag der Buchvorstellung acht bisher unbekannte Theater-Journale ausfindig machen konnte - das Projekt geht also weiter. Angemerkt sei, dass an der Universität zu Köln bereits an der Online-Verfügbarkeit von Paul S. Ulrichs Datenbank gearbeitet wird.
Max-Herrmann-Dissertationspreis der Gesellschaft für Theatergeschichte 2022 an Theresa Ida Eisele



Am Samstag, 19. November 2022 fand im Hörsaal des Instituts für Theaterwissenschaft der FU Berlin die Verleihung des Max-Herrmann-Dissertationspreises der Gesellschaft für Theatergeschichte 2022 statt.
Prof. Dr. Matthias Warstat begrüßte die Anwesenden und erinnerte an die Wichtigkeit der Theatergeschichte für die theaterwissenschaftliche Forschung und Lehre.
Stephan Dörschel, erster Schriftführer der Gesellschaft, begrüßte die Anwesenden und erinnerte an den Namensgeber Max Herrmann, dessen Todestag sich zwei Tage zuvor gejährt hatte.
Paul S. Ulrich, Vorsitzender der Gesellschaft, überreichte die Urkunde.
Die Laudatio hielt Prof. Dr. Dr. h.c. Erika Fischer-Lichte, zugleich Mitglied der Jury.
Dr. Theresa Eisele bedankte sich mit einem Vortrag zu ihrer Dissertation. Dabei berichtete sie in einem kleinen Exkurs auch von ihren Forschungen zu Max Herrmann.
Im Anschluss daran lud das Institut für Theaterwissenschaft zu einem kleinen Imbiss.
Der Vorstand der Gesellschaft hatte den Preis auf Vorschlag der Jury Theresa Ida Eisele für ihre Arbeit „Spiel- und Spiegelformen des Lebens“. Theatrale Praktiken jüdischer Erfahrung in der Wiener Moderne (Universität Wien 2021) zuzuerkannt.
In der Begründung der Jury heißt es:
„Die Arbeit von Theresa Ida Eisele entfaltet in ihrer weitausholenden und gleichzeitig tiefgehenden Studie die Theatralitätserfahrung der jüdischen Bevölkerung im Wien des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zwischen Assimilation und antisemitischer Ausgrenzung. Sie überzeugt vor allem durch den multiperspektivischen Ansatz, der die Theaterpraxis eingehend beleuchtet und damit theatralitätstheoretische wie kulturhistoriografische Aspekte berücksichtigt. Dabei gelingt es ihr, bislang wenig berücksichtigte Quellen aufzuschließen. Auch stilistisch überzeugt ihre Arbeit.“
Die Jury bestand aus: Stephan Dörschel (Sprecher), Prof. Dr. Dr. h.c. Erika Fischer-Lichte, Carsten Jung, Prof. em. Dr. Andreas Kotte, Dr. Britta Marzi
Max-Herrmann-Dissertationspreis der Gesellschaft für Theatergeschichte 2021
Preisverleihung an Robert Sollich



Am 11. Dezember 2021 fand im Hörsaal des Instituts für Theaterwissenschaft der FU Berlin die Verleihung des Max-Herrmann-Dissertationspreises der Gesellschaft für Theatergeschichte 2021 an Robert Sollich für seine Arbeit Die Kunst des Skandals. Eine deutsche Operngeschichte seit 1945 (Freie Universität Berlin 2019) statt.
Prof. Dr. Matthias Warstat / FU Berlin und Paul S. Ulrich / Gesellschaft für Theatergeschichte begrüßten die Gäste und Stephan Dörschel erinnerte an den Namensgeber des Preises Max Herrmann, den Gründungsvater der Berliner Theaterwissenschaft und langjährigen Vorsitzenden der Gesellschaft für Theatergeschichte.
Nach der Laudatio von Prof. Dr. Dr. hc. Erika Fischer-Lichte überreichte Paul S. Ulrich die Urkunde. In seinen Dankesworten berichtete Robert Sollich vom Entstehungsprozess seiner Arbeit und stellte zwei der behandelten Opernproduktionen exemplarisch vor.
In der Begründung der Jury heißt es:
„Die umfangreiche Studie von Robert Sollich vollzieht die deutsche (auch deutsch-deutsche) Operngeschichte nach 1945 – die Fokussierung auf „Oper“ innerhalb des breiteren Begriffsverständnisses von „Musiktheater“ ist für die Argumentation maßgebend – als Folge von wohl als kanonisch zu bezeichnenden Skandalereignissen und kontrovers rezipierten ästhetischen Konzepten nach. Den theoretischen Bezugsrahmen gibt neben skandaltheoretischen Positionen der Soziologie, die im Wesentlichen den politischen Skandal adressieren, Pierre Bourdieus Feldtheorie vor. Ein Schwerpunkt des präsentierten Materials liegt auf einschlägigen Etappen und Produktionen der neueren Geschichte der Bayreuther Festspiele (namentlich Wieland Wagners Inszenierungen von Die Meistersinger von Nürnberg, Götz Friedrichs Tannhäuser und Patrice Chéreaus Der Ring des Nibelungen). Verf. begreift die von ihm vorgestellten Ereignisse als zentrale[] potentielle[] historische[] Umschlagpunkte[] der Operngeschichte“ (S. 522). Zu den wichtigen Ergebnissen der detail- und wendungsreichen Analysen gehört die Konstatierung einer „wesenhaften Unschärfe von Theaterskandalen“ (ebd.). […]
Demgegenüber erkannte die Jury in der Arbeit von Robert Sollich die von der Gesellschaft für Theatergeschichte formulierten Vergabekriterien in hohem Maße erfüllt: die fleißige und materialreiche, auf einer breiten Basis theoretischer Positionen operierende Studie kann für sich in Anspruch nehmen, zur Grundlagenforschung beigetragen und ihr Thema, den Opern-/Theaterskandal, dem die Forschung bislang lediglich am Rande Aufmerksamkeit geschenkt hat, auf beachtlichem Reflexionsniveau behandelt zu haben.“
Die Jury bestand aus Prof. Dr. Stefan Hulfeld, Dr. Wolfgang Jansen, Prof. Dr. Marion Linhardt (Sprecherin), Dr. Britta Marzi und Dr. Lea-Sophie Schiel.
Die Laudatio von Prof. Dr. Dr. hc. Erika Fischer-Lichte finden Sie hier.
Die Dissertation von Robert Sollich ist unter dem Titel Die Kunst des Skandals. Eine deutsche Operngeschichte seit 1945 im Wehrhahn-Verlag erschienen.
Bd. 82 der Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte erschienen
„Enthusiasmus ist noch zu wenig gesagt“ Die Stars des romantischen Balletts: sechs biographische Pas de deux

Frank-Rüdiger Berger:
„Enthusiasmus ist noch zu wenig gesagt“
Die Stars des romantischen Balletts: sechs biographische Pas de deux
(= Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte, Bd. 82)
Hardcover, 340 S. (Register von Paul S. Ulrich)
90 teils ganzseitige Farbabbildungen
ISBN 978-3-924955-23-6
59,- €
Das Inhaltsverzeichnis finden Sie hier.
Die Gesellschaft hat in ihrer über 100jährigen Geschichte noch keine explizit dem Bühnentanz gewidmete Publikation herausgegeben! Unser Vorstandsmitglied Frank-Rüdiger Berger hat dafür auf seine Vortragsreihen zum romantischen Ballett zurückgegriffen und diese, insbesondere hinsichtlich der Berliner Ballettgeschichte, durch weitere Forschungen ergänzt. Es ist außerordentlich spannend zu erfahren, wie es auch immer wieder die Frauen sind, die hier in einer Männerdomäne nicht nur als Objekt ästhetischer Projektionen dienen, sondern durchaus auch leitend, d. h. hier choreographierend die Entwicklung vorantreiben und bestimmen. Mit seinen zahlreichen zeitgenössischen Illustrationen und Zitaten vermittelt dieses Buch aber auch die ästhetischen Vorstellungen des romantischen Balletts in der bildenden Kunst und Literatur. Theater ist hier ein genreübergreifendes Phänomen. (Stephan Dörschel)
Die Mitglieder der Gesellschaft für Theatergeschichte haben den Band im Rahmen ihrer Mitgliedschaft erhalten.
Interessierte Nicht-Mitglieder können den Band bestellen über:
Gesellschaft für Theatergeschichte e. V.
Herrn Stephan Dörschel
E-Mail schriftfuehrer1@theatergeschichte.org
Max-Herrmann-Dissertationspreis der Gesellschaft für Theatergeschichte 2020
Preis verliehen an Senad Halilbašić




Erstmals zeichnete die Gesellschaft für Theatergeschichte in diesem Jahr eine herausragende theatergeschichtliche Dissertation mit dem neu ausgelobten Max-Herrmann-Dissertationspreis der Gesellschaft für Theatergeschichte aus.
Der Vorstand der Gesellschaft erkannte den Preis auf Vorschlag der Jury Senad Halilbašić für seine Arbeit „Spielende und Zuschauende sowie eine Granate, die weit genug weg ist“. Theater in Bosnien und Herzegowina 1992-1995 zu.
Die Preisverleihung fand am 21. Oktober 2020 in einer gemeinsamen Veranstaltung mit der Preisverleihung des Max-Herrmann-Preises der Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin statt. Die Laudatio hielt Stephan Dörschel. Senad Halilbašić schloss in seine Danksagung einen flammenden Appell für das lebendige Theater ein, gerade auch in Krisenzeiten, wie es damals in Bosnien war und wie es heute durch die Covid19- Pandemie ist.
In der Begründung der Jury heißt es:
„Die Dissertationsschrift bietet Theatergeschichte als Zeitgeschichte, gibt Einblick in die Rolle des Theaters in den jugoslawischen Zerfallskriegen der 90er Jahre, am Beispiel von Bosnien und der Herzegowina in den Jahren des Bosnienkrieges 1992-95.
Die vier Hauptkapitel rücken jeweils eine Stadt in den Fokus: Mostar in der Herzegowina, Tuzla und Sarajewo in Bosnien, Banja Luka in der Republika Srpska. Der Verfasser legt mehr Gewicht auf die drei Provinzstädte als auf die Metropole Sarajevo, deren Theaterentwicklung während der Kriegsjahre schon Gegenstand vorhandener Forschungen war. Die Lektüre der Studie vermittelt ein differenziertes Bild des Bürgerkriegsgeschehens im Bosnienkrieg, in das hier die Theatergeschichte eingebettet wird. Die Entwicklungen des Verhältnisses zwischen Theater und Stadtgesellschaft werden jeweils an ein oder zwei führenden Theatern in der jeweiligen Stadt exemplifiziert.
Sehr klug reflektiert der Verfasser in der Einleitung seine eigene historisch-politische Positionierung als in Wien aufgewachsenes Kind einer bosnisch-muslimischen Familie. Er zeigt auf, welche Rolle seine familiäre Herkunft bei den Recherchen und Gesprächen im ehemaligen Kriegsgebiet spielte. In methodischer Hinsicht besticht die Argumentation durch umsichtige Einbeziehung einer Fülle heterogener Quellen. Der Verfasser stützt sich auf Oral-History-Interviews, Aufführungsaufzeichnungen, Theaterstücke sowie vielfältige Archivalien (Plakate, Fotos, Programmzettel, Rezensionen etc.). Die Arbeit zeigt, wie sich ein Bürgerkriegsgeschehen umfassend in der Theaterentwicklung des Konfliktgebiets spiegelt. Die Theater sind im Grunde keine Inseln oder Schutzräume (wobei dieser Gedanke im Sarajevo-Kapitel ausführlich erörtert wird), sondern werden von den Kriegsparteien auf unterschiedlichste Weise instrumentalisiert, lassen sich vereinnahmen etc. Man könnte hier mit einigem Recht von einem „Einbruch der Zeit in das Spiel“ sprechen.
Die Stärke der Arbeit liegt in ihrem wichtigen, substantiellen Beitrag zu dem in den letzten Jahren stetig an Bedeutung gewinnenden Forschungsfeld Kriegstheater; mitreißend und materialnah geschrieben, bietet sie genaueste Mikro-Einblicke in die jeweiligen Stadtgesellschaften und die Rolle des Theaters. Sie wahrt auf souveräne Weise Distanz zu den Narrativen der Kriegsparteien und verbindet Oral History auf innovative Weise mit Diskurs- und Inszenierungsanalysen – eine politische Theatergeschichte von höchster Relevanz. Dies kompensiert in vollem Umfang den Verzicht auf eine explizite und ausgeweitete Theorie- und Methodendiskussion, die gleichwohl implizit im Text geleistet ist. Insgesamt handelt es sich um eine herausragende voll preiswürdige Arbeit.“
Die Jury bestand aus Dr. Wolfgang Jansen, Dr. Britta Marzi, Dr. Lea-Sophie Schiel, Prof. Dr. Meike Wagner (Sprecherin) und Prof. Dr. Matthias Warstat.